Betreff: (faule) Eier aus Göppingen, Salzburg und Köln
Stuttgarter Zeitung. 8.4.2006
Märklins Zukunft liegt in London
Doch Verkauf an Investor stockt
Märklin kommt ohne fremde Hilfe wohl nicht mehr aus der Krise. Die
Familieninhaber sind auf der Suche nach einem Käufer, können sich aber
offenbar
nicht einigen. Die erste Frist des Finanzinvestors ist schon verstrichen.
Von Sönke Iwersen:
Nun ist sie da, die Heuschrecke, und halb Göppingen ist in heller Aufregung.
Mitarbeiter von Märklin müssen, beim Bäcker und Friseur erklären, was
Finanzinvestoren sind. Betriebsräte versuchen verzweifelt herauszufinden,
wer um
Gottes willen hinter dieser Firma namens Kingsbridge steht, die gerade
Märklin-Kredite in Höhe von zehn Millionen Euro gekauft hat. Und nicht
einmal
Jürgen Hilse kann genau einschätzen, was bei Märklin wohl als Nächstes
passiert.
"So lange gibt es das ja noch nicht, die Möglichkeit, Kredite an
Heuschrecken zu
verkaufen", sagt Hilse, der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse
Göppingen.
"Wir erleben das hier zum allerersten Mal"
Hilse spricht nicht nur als Beobachter. Die Kreissparkasse Göppingen ist
eine
Hausbank von Märklin und laut Finanzkreisen mit einer Kreditlinie von rund
20
Millionen Euro engagiert. Das ist nichts für schwache Nerven. In den
vergangenen
vier Jahren brach der Umsatz von Märklin um 25 Prozent ein, aIJejn 2004 und
2005
betrug der Verlust nach Steuern insgesamt zwanzig Millionen Euro. Operativ
schreibt das Unternehmen zwar noch einen kleinen Gewinn, doch die Tilgung
der
Kredite, geschweige denn dringend notwendige Investitionen sind unmöglich.
"Eine
Bank kann in so einer Situation nicht einfach zusehen und auf Besserung
hoffen",
sagt Chrlstian Lützenrath, der Geschäftsführer der Turnaround Management
Consult
GmbH in Dortmund. "Eine Bank muss sich fragen: Wollen wir uns in dieses
Krisenuntemehmen richtig reinknien,
oder wollen wir unsere Zeit lieber mit profitablem Kreditgeschäft
verbringen?
Und dann kann es schon mal die Entscheidung geben: weg mit dem Ding."
Deutsche Banken beurteilen den Handel mit Krediten sehr unterschiedlich. Die
BW-Bank und die Kreissparkasse Göppingen, die größten Kreditgeber von
Märklin,
schließen diese Möglichkeit im Fall Märklin kategorisch aus. "Wir würden nie
das
Vertrauen unserer Kunden so verletzen, dass wir die Kredite einfach
weiterverkaufen", sagt der Sparkassenvorstand Hilse. Seine Kollegen bei der
Volksbank Göppingen und der DZ Bank sehen das anders. Beide verkauften
kürzlich
ihre Märklin-Kredite an dte Investmentbank Goldmann Sachs, die wiederum eine
feste Vereinbarung mit Kingsbridge Capital Advisors eingegangen ist. Und
schon
war sie da, die Heuschrecke in Göppinger.
Was nicht unbedingt schlecht sein muss. Ingo Tütsch jedenfalls möchte nicht
klagen, sondern loben. Der Betriebsratsvorsitzende der Kunert AG ahnte schon
Böses,. Als Kingsbridge die Schulden des Strumpfherstellers in Immenstadt
aufkaufte, das Management austauschte und sich ans Sanieren machte. "Ich
dachte,
Hoppla, jetzt kommen hier die Heuschrecken", sagt Tütsch. "Aber bis jetzt
haben
wir gute Erfahrungen gemacht." Tütsch sieht in der Schließung der
Grobstrickerei
mit 140 Beschäftigten in Sachsen und dem Abbau von 56 Stellen in Immenstadt
keine Gier des Investors, sondern unausweichliche Schnitte. Auch den
Arbeitnehmern war klar, dass bei. ständig sinkenden Umsätzen nicht alles
beim
Alten bleiben konnte. Ãœberrascht hat den Betriebsrat aber, dass Kingsbridge
nicht nur sparen will, sondern auch investiert. Tütsch: ,, jetzt haben sie
Geld
reingesteckt. nicht rausgezogen."
Auch in Göppingen, so ist aus Unternehmenskreisen zu hören, will Kingsbridge
investieren. Der in Londo'n ansässige Fonds, der zu der österreichischen
Hardt-Gruppe gehört, verwaltet ausschließlich Geld von institutionellen
Anlegern
aus Europa und hat sich auf Firmen in Krisensituationen spezialisiert, die
ein
hohes, nicht ausgeschöpftes Potenzial haben. Dass dies bei Märklin der Fall
ist,
ist in der Branche unstrittig. Kein Markenname hat für Modelleisenbahnfans
eine
größere Anziehungskraft. Doch über die Jahre führten fehlendes Kapital und
hausgemachte Fehler zu einer Lage, aus der das Unternehmen sich nicht mehr
lösen
konnte. Märklin-Produkte sind teuer., der Einstieg in die
Modellieisenbahnwelt
fällt schwer. Experten bemängeln auch den Internetauftritt des Unternehmens
wegen des mangelhaften Onlineverkaufs und kritisieren, dass Märklin über
Jahre
hinweg durch eine zu große Produktvielfaft zu hohe Umsatzerwartungen geweckt
hat. "Die Banken sind es leid, dass Märklin jahrelang seine Ziele nicht
erfüllt
hat", sagt ein Insider. "Außerdem waren viele Umsätze trügerisch. Da wurde
in
den Handel reinverkauft, der die Produkte dann nicht loswurde. Wenn man sich
bei
den Händlern mal umschaut, sieht man; Die Lagerbestände sind extrem hoch.
Der
Markt ist verstopft."
Sowohl dje Banken als auch die 23 Gesellschafter von Märklin wurden mit der
Zeit
immer nervöser. Paul Adams, der Geschäftsführer, kam 2002 nach Göppingen. In
seinem ersten Jahr konnte er die Umsätze noch leicht steigern, seither sind
sie
stark gefallen. 2004, als Märklin 342 Arbeitsplätze in Göppingen abbaute,
verursachten die Kosten für Abfindungen und andere
Restrukturierungsmaßnahmen
einen Verlust von fast 14 Millionen Euro. Der öffentliche Aufschrei und die
finanzielle Tristesse haben dem Vernehmen nach das Verhältnis zwischen
Gesellschaftern und Geschäftsführung stark belastet. 2004 verpflichteten die
23
Nachfahren des Gründers einen Marketingfachmann, Stephan Unser. Seit März
2005
ist zusätzlich Andreas Sand in der
Geschäftsführung, ein ehemaliger Wirtschaftsprüfer und Spezialist für
finanziell angeschlagene Firmen. Insider bewerten die Personalien als
teilweise
Entmachtung von Adams. Gerüchteweise soll sich Adams bereits bei
Personalberatern nach einem neuen Job umgehört haben. Dabei sind sich die
Gesellschafter keineswegs einig. Bis vor kurzem ließen sie sich durch einen
elfköpfigen Beirat vertreten, der als extrem zerstritten und
entscheidungsschwach galt. Erst aut Drängen der Gläubigerbanken trat der
Beirat
unter Vorsitz des Fraunhofer-Präsidenten Hans-Jörg Bullinger am 28. Februar
zurück. Der neue Beirat, der sich jedoch noch nicht konstituiert hat,
besteht
aus vier Personen: dem Münchener Wlrtschaftsprüfer Siegfried Zitzelsberger,
dem
Insolve.nzverwalter Ulrich Brugger von der Stuttgarter Rechtsanwaltskanzlei
Grub
& Brugger sowie dem Porsche-Vorstand Michael Macht und dem ehemaligen
Porsche-Vorstand Horst Marchart.
Die Verhandlungen mit dem Finanzinvestor Kingsbridge führt nicht der Beirat,
sondern der ehemalige WMF-Vorstandschef Rolf Allmendinger.
"Die Gesellschafter haben einen Investor oder einen Käufer für die Firma
gesucht, und Herr Allmendinger hat hier seine Hilfe angeboten", sagt
Marchart,
der dem Beirat künftig vorstehen soll. "Zu allem Weiteren möchte ich mich
erst
äußern, wenn der neue Beirat gewählt ist. Wenn Kingsbridge allerdings kommt,
ist
die Tätigkeit des neuen Beirates nach eineinhalb Monaten auch wieder
beendet."
Denn Kingsbridge will nicht nur die Schulden von Märklin kaufen, sondern das
ganze Unternehmen. Wie aus.-dem Londoner Umfeid zu hören ist, -sieht der
Investor den Schuldenkauf lediglich als vorübergehenden Schritt, um Märklin
zu
stabilisleren. Und eigentlich sollte der Verkauf auch schon abgeschlossen
sein -
selbst der Preis stand bereits fest. In der vergangenen Woche allerdings
verstrich eine Frist von Kingsbridge ohne Reaktion aus Göppingen. Nach
Informationen der Stuttgarter Zeitung haben sich drei Viertel der
Gesellschafter
bereits für einen Verkauf an Kingsbridge entschieden, doch der Familienstamm
Märklin, geführt von Claudius Märklin, sperrt sich. Wie es weitergeht, ist
unklar - ein Verkauf ist offenbar nur einstimmig möglich, und in der
Öffentlichkeit schweigen die Gesellschafter eisern. Paul Adams aber ist
zuversichtlich. Der Geschäftsführer von Märklin hat auf die
Verkaufsverhandlungen kaum Einfluss, kann jedoch erstmals seit vier Jahren
mit
einem ungewohnten Ausblick glänzen. "Die Spielwarenmesse in Nürnberg war
sehr
positiv. Wir haben zweistellige Zuwächse bei den Auftragseingängen" , sagt
Adams. " 2006 wird der Umsatz nicht sinken, sondern steigen."